Sattes Grün ist die bestimmende Farbe in diesem kleinformatigen Gemälde, (Anm. 1) Wald und Wasserfall sind seine Motive. Ein Felsblock sticht dabei heraus. Hell und flächig blockiert die kantige Form den Blick in die Tiefe und leitet ihn doch gerade dorthin. Unverrückbar verkeilt, bestimmt der Fels den Lauf eines Bachs, der entgegen dem Blick von hinten nach vorne fließt. Stromschnellen umspielen die Steine und gurgeln dem Vordergrund entgegen.
Statik und Dynamik sind Friedrichs zentrale Themen in diesem Gemälde. Sie sind als klare Gegensätze inszeniert, und doch wird zugleich auch die Uneindeutigkeit dieser Ordnung vorgeführt. Moose und Flechten erobern und verändern den Felsen, Gräser wachsen auf den Steinen, sogar Blumen blühen in Gelb und Orange. Auf dem unwirtlichen Stein entwickelt sich Leben. Das Bild ist deshalb auch als »Sinnbild von Frühling und Wiederbeginn« gelesen worden und damit als Pendant zum Winterbild Frühschnee (Anm. 2). Gleichzeitig kann auch das frische Moosgrün nicht darüber hinwegtäuschen, dass die geometrische, leicht nach unten verjüngte Form des zentralen Steins an einen Sarkophag oder eine massive Grabstele erinnert. Ein verdorrter Ast, von Friedrich verschiedentlich als Bildmotiv genutzt, ragt im Vordergrund empor (Anm. 3). Der eben noch quicklebendig sprudelnde Bach ist hier, da er das Wasserbecken erreicht hat, zu einer unbewegten Fläche erstarrt.
Hervorgerufen ist dies auch durch die Malweise. Waagerecht, streng parallel zum unteren Bildrand führte der Maler den Pinsel. Eine Entsprechung gibt es auch in der Vertikalen. Der Blick in die Tiefe des Waldes offenbart hinter der Lebendigkeit der Natur auch ihre Strenge und Klarheit. Zwischen den federnd sich auffächernden Tannenzweigen steigen senkrecht, säulenartig, nahezu sakral, die Stämme von Fichten auf.
Friedrich deutete so auf die rechteckige Form und Flächigkeit des Gemäldes. Auch die Farbigkeit verstärkt den Eindruck der Reflexion der Bildmittel. Für das Wasser fuhr der Maler fast die gesamte, erstaunlich vielfarbige Palette des Bildes auf. Das Grün der Vegetation spiegelt sich ebenso wie das rötliche Braun. Es verbindet die Wasserfläche im Vordergrund mit dem in der Tiefe durchscheinenden Waldboden und erlangt dadurch kompositorische Bedeutung. In einem nach unten und einem nach oben gewölbten Bogen beschreibt es die Form einer Hyperbel und markiert damit drei Bildbereiche. Zwischen den vergleichsweise einheitlichen Zonen von vertikal organisierten Bäumen und horizontal strukturierter Wasserfläche entfaltet der Mittelgrund eine Dynamik organischer Unberechenbarkeit.
Zusammen ergeben die Elemente das Gesamte der Natur. Und dazu gehört bei Friedrich immer auch das nicht direkt Sichtbare. Überraschend, licht, ja heiter blitzt ein helles Blau im Wasser auf. Wer sich umdreht, blickt vom Waldesdickicht in die Weite des Himmels.
Das Bild wurde wie Frühschnee wohl 1828 in der Kunstausstellung der Dresdner Akademie präsentiert (Anm. 4). Es befand sich zeitweilig im Besitz des mit Friedrich eng befreundeten norwegischen Malers Johan Christian Dahl.
Katharina Hoins
in: Caspar David Friedrich. Kunst für eine neue Zeit, hrsg. von Markus Bertsch und Johannes Grave, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle, Berlin 2023, S. 178.
1 Börsch-Supan/Jähnig 1973, S. 412, Nr. 362.
2 Ebd., S. 412; Howoldt 2001, S. 40.
3 Bei Börsch-Supan/Jähnig 1973, S. 412, als »Memento mori« gedeutet.
4 Anonym 1828a; Sumowski 1970, S. 221.