Das unter dem Titel Ostermorgen bekannt gewordene Gemälde wartet mit einer für Friedrich ungewöhnlich großen Anzahl an Figuren auf: Mindestens acht Frauen befinden sich in Zweier- oder Dreiergruppen auf einem Weg, der durch eine dämmrige Landschaft führt.(Anm. 1) Noch präsentiert sich die Natur sehr karg; erste Triebe an den Bäumen lassen aber erkennen, dass der Frühling einsetzt. Durch das gittergleich enge Geäst der Bäume am linken und rechten Bildrand wird die Grenze vom Vorder- zum Mittel- und Hintergrund deutlich betont, sodass die Assoziation naheliegt, dass sich mit dem Motiv des Weges eine Passage im übertragenen Sinn verbinden könnte. Obgleich die Frauen durch ihre Kleidung unmissverständlich als Zeitgenossinnen des Malers gekennzeichnet sind, fällt in Verbindung mit dem traditionellen Bildtitel die Dreiergruppe auf, die gerade die Schwelle vom Vordergrund in die Tiefe der Landschaft überschreitet. Sie kann an die drei Frauen der biblischen Ostergeschichte [Mk 16,1 – 8] erinnern, die als Erste das leere Grab Christi gesehen haben. Auf diese Weise werden Gedanken an das christliche Osterfest angestoßen; zugleich aber bewahrt sich das Bild eine Unbestimmtheit, die zum weiteren Schauen und Nachdenken einlädt. Das Gemälde zählt zu einer Reihe von Werken, für die Figurenzeichnungen überliefert sind, bei denen es sich nicht zwingend um vorbereitende Studien handeln muss, sondern die auch als Pauszeichnungen nach dem Gemälde oder nach dessen Unterzeichnung entstanden sein könnten. (Anm. 2) Vermutet wird, dass Friedrich einige dieser Blätter anfertigte, um einen Fundus von Staffagefiguren zur möglichen späteren Verwendung anzulegen. Die Dresdner Zeichnung zeigt nicht nur unten rechts die drei Frauen des Vordergrunds, sondern auch die entfernteren kleineren Figuren, deren Größenverhältnisse und Lage zu den drei Frauen vorne auf der Zeichnung in Übereinstimmung mit den Proportionen und Abständen im Gemälde wiedergegeben werden. Nicht abschließend geklärt ist die Frage, ob der Ostermorgen ein Pendant zum Hamburger Gemälde Frühschnee gewesen ist. Wilhelm Wegener, in dessen Sammlung sich beide formatgleichen Bilder in der Mitte des 19. Jahrhunderts befanden, hat sie ausdrücklich als zusammengehöriges Bilderpaar bezeichnet. (Anm. 3) Helmut Börsch-Supan datiert jedoch das Hamburger Winterbild deutlich früher; er verweist darauf, dass es – anders als der Ostermorgen – bis 1842 in der Berliner Sammlung von Georg Andreas Reimer nachweisbar ist, und hält es für ein Pendant zum Tannenwald mit Wasserfall. (Anm. 4) Allerdings entsprechen sich die Formate des Frühschnees und des Ostermorgens besser; und beide Bilder würden mit den in die Landschaft hinein[1]führenden Wegen sehr gut miteinander korrespondieren.
Johannes Grave
in: Caspar David Friedrich. Kunst für eine neue Zeit, hrsg. von Markus Bertsch und Johannes Grave, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle, Berlin 2023, S. 178.
1 Zum Gemälde vgl. Sumowski 1970, S. 129 u. 242, Nr. 463; Börsch-Supan/Jähnig 1973, S. 435, Nr. 408; Koerner 1998, S. 180; Vaughan 2004, S. 281; Börsch-Supan 2008, S. 152 f. u. 188 f.; Grummt 2011, Bd. 2, S. 853 f., Nr. 941.
2 Vgl. Geismeier 1965; Timm 2004, bes. S. 104; Grummt 2011, Bd. 2, S. 768 u. 806; sowie Mösl 2021, S. 113–117.
3 Siehe Wegener 1859, bes. S. 76.
4 Vgl. Börsch-Supan/Jähnig 1973, S. 412 – 414, Nr. 363; sowie Zimmermann 2000, S. 251 – 253.