Öl auf Leinwand

49.1 x 35.3 cm


Patrons' Permanent Fund, National Gallery of Art, Washington

Nordische Frühlingslandschaft, 1825
Caspar David Friedrich

Als ein anonymer Rezensent im Oktober 1822 über Friedrichs heute verschollenes Bild eines im nordischen Eis gescheiterten Schiffes schrieb, fragte er: »[…] sind denn dies wirklich noch Landschaften, oder was ist es?« (Anm. 1) Bei allem maltechnischen Geschick Friedrichs erschien ihm »der Effect mehr wunderlich als kunstmäßig schön«. (Anm. 2) Ähnlich könnten Zeitgenossen über die Nordische Frühlingslandschaft geurteilt haben. (Anm. 3) Mit ihr hatte Friedrich erneut eine Szenerie entworfen, wie er sie im weit entfernten, lebensfeindlichen hohen Norden vermutete. Das Gemälde dürfte für viele die Frage aufgeworfen haben, ob eine solch trostlose Gegend überhaupt bildwürdig sei, zumal es der dargestellten Landschaft an außergewöhnlich spektakulären Motiven mangelt. Stattdessen bietet das Gemälde einen Blick auf eine weitgehend schneebedeckte Landschaft, die von vereisten und verschneiten Wasserflächen unterbrochen und von eher unscheinbaren Bergen hinterfangen wird. Das tiefe, lastende Blau des Himmels hellt sich nur am äußersten oberen Bildrand auf und lässt auf Sonnenstrahlen hoffen, die die karge Vegetation ein wenig beleben könnten. In der endlosen und unwegsamen Landschaft stößt der Blick auf zwei Staffagefiguren, die durch einen Bogen und vermutlich einen Speer als Jäger gekennzeichnet sind. Sie führen vor Augen, dass selbst in dieser Region menschliches Leben möglich ist. Für die Bergkette im Hintergrund scheint Friedrich auf eine Zeichnung in seinem 1804 verwendeten Karlsruher Skizzenbuch zurückgegriffen zu haben, die allerdings einen Gebirgszug aus der Umgebung von Dresden wiedergeben dürfte. (Anm. 4) Umstritten ist, ob die Nordische Frühlingslandschaft mit einem Gemälde identisch ist, das Heinrich Hase 1823 im Zuge eines Atelierbesuches beschrieb. Hase erwähnt zwar keine Staffagefiguren, seine Beschreibung entspricht aber bemerkenswert weitgehend der Szenerie in Friedrichs Gemälde – insbesondere wenn er »heidebedeckte Schluchten« erwähnt, »von denen die Stürme den Schnee so abgeweht haben, daß Moos und Riedgras hie und da vorblickt«. (Anm. 5)

Johannes Grave
in: Caspar David Friedrich. Kunst für eine neue Zeit, hrsg. von Markus Bertsch und Johannes Grave, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle, Berlin 2023, S. 188.

1 Anonym 1822, S. 1042.

2 Ebd.

3 Zum Gemälde vgl. BörschSupan 2002/03 und Doyle 2006.

4 Grummt 2011, Bd. 1, S. 396 f., Nr. 412; für die Identifizierung der Vorlage vgl. Richter 2021/22, Bd. 2, S. 179.

5 Hase 1823, S. 21. Bei BörschSupan/Jähnig 1973, S. 386, Nr. 309, ist das von Hase erwähnte Bild als verschollenes Werk erfasst. Zur Diskussion, ob Hase die Nordische Frühlingslandschaft beschrieb, vgl. Börsch-Supan 2002/03; Doyle 2006; und Grave 2018, S. 73.

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Bildnachweis
Courtesy National Gallery of Art, Washington