Gemälde von Caspar David Friedrich mit dem Titel: »Huttens Grab«, geschaffen um 1823/24

Malerei auf Gewebe

73.4 x 93.5 cm


Klassik Stiftung Weimar

Huttens Grab, um 1823/24
Caspar David Friedrich

Gut zehn Jahre nach seiner ersten Beschäftigung mit den Ruinen auf dem Oybin hat Friedrich nochmals ein Bild gemalt, das die Ostpartie der gotischen Sakristei zum Ausgangspunkt nimmt. (Anm. 1) Im Zentrum steht allerdings nicht mehr – wie in dem Ölgemälde von ca. 1812 – ein Altar, sondern ein mächtiges steinernes, mit einem Harnisch gekröntes Grabmal, auf dessen Stirnseite unser Blick fällt. Ergänzt ist auch die neben dem rechten Lanzettfenster zu sehende Skulptur mit einem Kreuz, die möglicherweise als Allegorie des Glaubens verstanden werden kann. Dass sie ihres Kopfes beraubt ist, lässt an Bilderstürme der Reformation oder allgemeiner an Infragestellungen der kirchlich verfassten Religion denken.
Vor dem steinernen Grabmal steht ein Mann in altdeutscher Tracht, der den Deckelaufsatz des Sarkophags in Augenschein nimmt. Er regt die Betrachterinnen und Betrachter vor dem Bild dazu an, ebenfalls näher an das im Bild dargestellte Monument heranzutreten. Wer die gewöhnliche Sehdistanz zu Gemälden aufgibt, kann tatsächlich wichtige Einsichten gewinnen. In der Nahsicht wird auf dem Sockel des Harnischs der Schriftzug »Hutten« lesbar; zudem ließen sich früher – laut verlässlichen Quellen – auf der Stirnseite des Sarkophags weitere Namen entziffern: »Jahn 1813«, »Arndt 1813«, »Stein 1813«, »Görres 1821«, »D … 1821« und »F. Scharnhorst«. Auf diese Weise werden Protagonisten der Befreiungskriege mit dem Humanisten Ulrich von Hutten in Verbindung gebracht, der um 1800 als Freiheitskämpfer, Patriot und früher Sympathisant der Reformation galt, aber nach seinem Tod 1523 nicht mit einem Grabmal gewürdigt worden war.
Friedrichs Gemälde ist oft als politische Positionierung in den Jahren der Restauration verstanden worden, als entweder kämpferisch-trotziges Bekenntnis zu nationalen und demokratischen Ideen oder zumindest als resignativer Rückblick auf Hoffnungen der Jahre ab 1813, die sich inzwischen als trügerisch erwiesen hatten. Das frische Grün in den ruinösen Mauern oder der Kontrast des dunklen Vordergrunds mit dem leuchtenden Farbenspiel des Himmels lassen sich durchaus in einem solchen Sinn ausdeuten. Doch fällt auf, dass das Bild selbst keine plakative Aussage formuliert, sondern unbestimmt bleibt. Gerade dadurch könnte es auf ganz eigene Weise politisch sein: Es eröffnet einen Denkraum, während die Restauration mit ihrer Rückkehr zur alten Ordnung alternative Gesellschaftsentwürfe auszuschließen versuchte.
Wann das Gemälde, das in den Jahren von 1824 bis 1826 mehrfach in Dresden, Hamburg und Berlin ausgestellt wurde, nach Weimar gelangte, ist nicht restlos geklärt. Immerhin bezeugt eine historische Fotografie, dass Friedrichs Bild um 1865 in den Gemächern des Großherzogs zu sehen war. (Anm. 2) Da sich der Weimarer Hof vergleichsweise offen für politische Reformen zeigte, wäre der Ankauf durch ein Mitglied der großherzoglichen Familie durchaus plausibel.

Johannes Grave
in: Caspar David Friedrich. Kunst für eine neue Zeit, hrsg. von Markus Bertsch und Johannes Grave, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle, Berlin 2023, S. 146.

1 Zum Gemälde vgl. Börsch-Supan/Jähnig 1973, S. 389f., Nr. 316; Ausst.-Kat. Hamburg 1974, S. 270f.; Eimer 1982, S. 177–185; Gross 1990, S. 14f.; Frank 2004, S. 163f.; Märker 2007, S. 63–66; Pester 2010; Grave 2022a, S. 135–141; Grave 2022b, S. 192–207.

2 Vgl. Jena 2013, S. 199 u. Taf. XIII.

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Bildnachweis
Klassik Stiftung Weimar, Museen