Friedrichs unkonventionelle Komposition bricht mit den Gepflogenheiten der damaligen Landschaftsmalerei. Denn etwas Horizont oder ein Stück Himmel suchen wir darauf vergeblich. Stattdessen nimmt eine Felswand den oberen Bereich des Bildes ein; sie öffnet sich weiter unten zu einer Höhle, in deren Eingangsbereich zwei behelmte Soldaten zu erkennen sind. Dort befinden sie sich vor gewaltigen, in Teilen bearbeiteten Felsbrocken, bei denen es sich um noch unvollendete Gedenk- bzw. Grabsteine handelt. Der Vordergrund zeigt grasbewachsenes Gelände, über das sich einzelne Gräber verteilen (Anm. 1).
Ausgangspunkt für Friedrichs ungewöhnliche Bildidee waren Studien, die Ende Juni 1811 entstanden, als er während seiner Harzwanderung eine Höhle auf dem Hartenberg nahe Wernigerode besuchte (Anm. 2). Die Anlage seines Gemäldes fußt auf diesen Eindrücken, doch sorgen erst die Gräber für eine inhaltliche Aufladung. Durch sie transformiert sich das Naturerlebnis in eine Gedenk- und Erinnerungslandschaft.
Der links des Höhleneingangs befindliche Obelisk, der vermutlich das jüngste der gezeigten Monumente darstellen soll, sticht aufgrund seines hellen Tons heraus. Verziert ist er mit Reliefs von geflügelten Todesgenien, gekreuzten Schwertern und den darüber befindlichen Buchstaben GAF (Anm. 3). Die politische Konnotation spricht aus der Sockelinschrift »EDLER JUINGLING, VATERLANDS-ERRETTER«. Am linken wie auch am rechten Bildrand sind drei weitere Grabmale zu sehen, die sich aufgrund ihres dunklen Steintons deutlich von dem Obelisken absetzen und wohl älteren Datums sein sollen. Zum Teil tragen auch sie Inschriften, die auf einen politisch-kriegerischen Kontext verweisen (Anm. 4).
Friedrichs überaus gründliche Vorbereitung bestimmter Details des Gemäldes geht aus einer Konstruktionszeichnung hervor, die drei perspektivische Studien des Grabes mit leicht geöffneter Deckplatte zeigen, das im Bild am rechten unteren Rand zu sehen ist (Anm. 5). Auch für das ruinöse, zum Teil bereits eingesunkene Grab im unmittelbaren Vordergrund, das wie verwachsen mit der es umgebenden Natur wirkt, ist eine derartige Konstruktionszeichnung überliefert (Anm. 6). Versehen mit den kriegerischen Attributen von Schwert, Streitkolben sowie zwei Hellebarden, trägt sein Grabstein die Inschrift »HERMAN«, während sich Friedrich im Gemälde für die latinisierte Form »ARMINIUS« entschied. Folglich haben wir es mit dem fiktiven Grab des Cheruskerfürsten zu tun, der im Jahre 9 n. Chr. den Römern in der Varusschlacht eine empfindliche Niederlage beibrachte.
Erst bei gründlicher Betrachtung ist im oberen Bereich des zerfallenen Grabmals eine Schlange in den Farben der französischen Trikolore zu erkennen (Anm. 7). Bezogen auf die damalige Situation werden die französischen Besatzer damit als das Böse schlechthin charakterisiert. Die motivische Zusammenführung mit dem Arminiusgrab macht aber auch deutlich, dass Friedrich sich erhoffte, eine Befreiungsbewegung möge in naher Zukunft Napoleons Grande Armée ebenso erfolgreich bezwingen wie Arminius die Römer über 1800 Jahre zuvor (Anm. 8).
Markus Bertsch
in: Caspar David Friedrich. Kunst für eine neue Zeit, hrsg. von Markus Bertsch und Johannes Grave, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle, Berlin 2023, S. 168.
1 Vgl. zu dem Bild u. a. Aubert 1911, S. 613–615; Börsch-Supan/Jähnig 1973, S. 325 f., Nr. 205; Ausst.-Kat. Hamburg 1974, S. 194 f.; Howoldt 2006; Leppien 2006, S. 10–15; Vogel 2006, S. 104 f.; Zuchowski 2021, S. 362–369; Grave 2022a, S. 131–134.
2 Grummt 2011, Bd. 2, S. 629 f., Nr. 651. Zu einer weiteren Studie vgl. ebd., S. 628 f., Nr. 650. Siehe auch Howoldt 2006, S. 59 f.; Grave 2022a, S. 131.
3 Diese Buchstabenfolge ließ sich bislang noch nicht überzeugend auflösen.
4 Auf dem Grabmal am linken Bildrand lässt sich mit Mühe »FRIEDE DEINER GRUFT / RETTER IN NOT« lesen, auf dem gegenüberliegenden rechts lassen sich »DES EDEL GEFALLENEN FUIR« sowie »FREIHEIT UND RECHT. F.A.K.« entziffern.
5 Grummt 2011, Bd. 2, S. 641 f., Nr. 669. Friedrich nutzte diese Zeichnung auch für den in der Höhle befindlichen Grabstein in seinem Gemälde Felsental (Das Grab des Arminius) (Kat. 89).
6 Grummt 2011, Bd. 2, S. 641, Nr. 667.
7 Börsch-Supan/Jähnig 1973, S. 325.
8 Howoldt 2006, S. 62; Vogel 2006, S. 105; Grave 2022a, S. 131–134.