Das leicht aquarellierte Blatt zeigt eines der Leitmotive in Friedrichs Werk, den Blick durch einen Durchgang bzw. durch ein Fenster in einer geschlossenen Mauer. Hier ist der Blick aus einem Innenraum durch die geöffnete Tür in einen Hof dargestellt, der durch eine gegenüber liegende Wand begrenzt wird. Die Beschriftung benennt das Motiv als Eingang zur Fürstenschule in Meißen, doch hat erst kürzlich Petra Kuhlmann-Hodick die genaue, heute noch existierende topographische Situation beschrieben. Der Raum befindet sich in der Ruine des ehemaligen, am linken Elbufer nördlich von Meißen gelegenen Klosters zum Heiligen Kreuz. Der Blick geht aus einem geschlossenen, gewölbten Raum, der zu dem noch erhaltenen, an den Chor der Kirche angrenzenden Klausurtrakt der Klosteranlage gehörte. Die Gründung der Zisterzienser aus dem 13. Jahrhundert war im 16. Jahrhundert aufgehoben und seitdem dem Verfall anheim gegeben worden, bis im frühen 19.Jahrhundert erste Sicherungsmaßnahmen gab.(Anm. 1) Die Bezeichnung als Fürstenschule auf dem Hamburger Blatt ist darauf zurückzuführen, dass der Fürstenschule nach der Aufhebung des Klosters dessen wichtigste Gebäude überlassen wurden, die sie teilweise noch bis ins 19. Jahrhundert nutzte.
Das Blatt bildet die räumliche Situation getreu im Sinne einer Vedute ab; die unterschiedlichen, den Eingang einfassenden Steinquader sind noch heute genauso vorhanden wie auch der Riss im Mauerwerk des Scheitels unverändert erkennbar ist, zudem hat sich in einem Nachbarraum eine Holztür mit dem gleichen Türgriff erhalten wie ihn Friedrich abbildet.(Anm. 2) Bei allen mimetischen Qualitäten des Aquarells ist aber auch das Bemühen um eine Komposition spürbar: Nicht nur die Tatsache, dass der Blick aus einem eher dunklen Raum in einen anderen, lichtdurchfluteten geht, Friedrich hier also eines seiner Leitmotive des in einer Maueröffnung erscheinenden Lichtes aufgreift, ist ein Indiz dafür, doch auch wie der Durchgang genau in die Mitte gesetzt wird, und zu den Seiten sowie oben und unten rahmende Streifen stehenbleiben, zeigen das Bemühen bereits in der Naturstudie um eine bildhafte Komposition. Friedrich hat das leicht aquarellierte Blatt sicher vor Ort ausgeführt, die Farbproben an den Rändern unterstreichen den Studiencharakter, doch wird er an eine weitere Ausarbeitung gedacht haben, möglicherweise zunächst auch als Aquarell.(Anm. 3) Ein Aquarell ist allerdings nicht bekannt, doch ist die Zeichnung in seinem Atelier geblieben, denn später hat er das Motiv im Atelier in eine bildmäßig ausgeführte Sepia und in ein Ölgemälde übertragen. Auf dem kleinformatigen Gemälde, das Börsch-Supan um 1827 datiert (Anm. 4), hat Friedrich die räumliche Situation etwas verändert, denn hier zeigt er den Blick von einem Innenraum in einen zweiten Innenraum mit einem vergitterten Fenster. Auf der Sepia hingegen hat Friedrich die Komposition des Hamburger Aquarells wörtlich in eine etwas größere Darstellung – das Hamburger Motiv misst etwa 215 x 180 mm – übernommen, einzig der Strauch im lichterfüllten Außenraum ist durch zwei junge Tannen ersetzt.(Anm. 5) Allerdings hat Friedrich in der Sepia die Wirkung des von außen einfallenden Lichts im Sinne seiner Lichtmetapher gesteigert.
Die Sepia hat Werner Sumowski zeitlich mit dem um 1826 entstandenen Lebensalterzyklus in Hamburg in Zusammenhang gebracht (Anm. 6), während Jens Christian Jensen eine Entstehung in den Jahren 1822 oder 1824 annahm, als Friedrich den mit seiner Familie nach Meißen umgezogenen Georg Friedrich Kersting besuchte.(Anm. 7) Die von Börsch-Supan (Anm. 8) vorgeschlagene Datierung in die Spätzeit um 1835-1837 ist jedoch vor allem im Vergleich mit der Sepia Eule in gotischem Fenster in St. Petersburg (Anm. 9) wahrscheinlicher, der auch Hinrich Sieveking und Chritina Grummt folgen. Die Hamburger Naturstudie datierte Sumowski „in ihrer bedachten schraffurenreichen Zeichenweise unter Betonung des Prismatischen der Architektur“ um 1820 oder etwas später; sie dürfte während der für die Zeit um 1822 und für Oktober 1824 (Anm. 10) dokumentierten Aufenthalte in Meißen bei Kersting entstanden sein, möglicherweise angeregt durch Kerstings Innenraumbilder. (Anm. 11)
Peter Prange
1 Kuhlmann-Hodick, S. 123
2 Vgl. Kuhlmann-Hodick 1996, S. 124-125
3 Sieveking 1997, S. 80
4 Toreingang in Meißen, Öl/Lw, 31 x 25 cm, Privatbesitz, vgl. Börsch-Supan 1973, S. 408-409, Nr. 354, Abb.
5 Kammereingang in der Klosterkirche Heilig Kreuz bei Meißen, Bleistift, Pinsel in Braun, 228 x 194 mm
6 Sumowski 1970, S. 153
7 AK Heidelberg 1964, S. 55, bei Nr. 174
8 Börsch-Supan 1973, S. 461, Nr. 458, Abb.
9 Eule in gotischem Fenster, Bleistift, Pinsel in Braun, 378 x 256 mm, St. Petersburg, Staatliche Eremitage, Inv.-Nr. 43908, vgl. Grummt 2011, S. 889-890, Nr. 983, Abb.
10 Vgl. Grummt 2011, S. 785-786, Nr. 860 und 861
11 Vgl. Sieveking 1997, S. 80