Friedrichs hochformatige Komposition Der Chasseur im Walde (Anm. 1) ist ein Bild von suggestiver Kraft. Wir sehen die Rückenfigur eines Soldaten in blauer Pelerine, mit goldenem Helm und tiefhängendem Säbel, der am Rand eines Nadelwalds auf einem winzigen Fleck Lichtung steht. Direkt vor ihm ragen Fichten empor, die einen Großteil der Bildfläche besetzen, diese bereits im Mittelgrund abriegeln und lediglich am oberen Rand etwas von dem bewölkten Himmel erkennen lassen. In auffälliger Symmetrie verteilen sich zwei Gruppen junger Tannen, die zum Teil vom Schnee überzuckert sind, auf den linken und rechten Vordergrund. Der einsame Soldat hält inne. Er hat offensichtlich den Anschluss an seine Kompanie oder den Spähtrupp verloren. Klein und verloren wirkt er inmitten der winterlichen Natur, die aufgrund von Friedrichs Komposition so wirkt, als wäre sie zu bedrohlicher Aktivität erwacht. Doch kein Weg führt ihn aus dieser misslichen Lage. Sein Blick mag zunächst den rotbraunen Stämmen folgen, die sich jedoch rasch im Dunkel verlieren und dabei an den Mythos vom undurchdringlichen deutschen Wald denken lassen, der in den Jahren der Napoleonischen Kriege verstärkt beschworen wurde (Anm. 2). Die eng stehenden Bäume vermitteln aber auch die Vorstellung von Geschlossenheit und können deshalb als assoziativer Verweis auf die Armee der Befreiungskrieger gedeutet werden (Anm. 3). Doch auch im Rücken des Soldaten ist kein Ausweg in Sicht. Dort veranschaulichen die Strünke zweier abgesägter Bäume nicht nur den menschlichen Eingriff in die Natur, sondern sie sind – wie auch der Rabe – geläufige Todessymbole der damaligen Zeit. Friedrichs Bildsprache lässt sich dahingehend lesen, dass die Gestalt in ihrer Existenz akut bedroht ist (Anm. 4). Wenngleich der Maler davon absah, die Figur über ihre Uniform explizit als französischen Soldaten zu charakterisieren oder eindeutige politische Aussagen zu treffen, (Anm. 5) gibt es dennoch vor dem Hintergrund der aufgeheizten Stimmung jener Zeit gute Gründe für diese Lesart (Anm. 6). Dass Friedrich den heimatlichen Wald als einen im patriotischen Sinne aufgeladenen Ort verstand, wird in einer Bleistiftzeichnung deutlich, die am 20. Juli 1813 – und damit einen guten Monat vor der Schlacht um Dresden (26./27. August) – entstand (Anm. 7). Geradezu emblemartig verdichtet, sehen wir eine Gruppe Nadelbäume, denen einige kleinere Laubbäume vorgelagert sind. Rechts oben hat der Künstler das Blatt mit dem folgenden kämpferischen Appell versehen: »Rüstet Euch / Leute zum neuen Kampf Teutsche Männer / Heil Euern Waffen!« (Anm. 8).
Markus Bertsch
in: Caspar David Friedrich. Kunst für eine neue Zeit, hrsg. von Markus Bertsch und Johannes Grave, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle, Berlin 2023, S. 174.
1 Börsch-Supan/Jähnig 1973, S. 327 f., Nr. 207.
2 Ausst.-Kat. Frankfurt am Main/Weimar 1994, S. 472; Howoldt 2006, S. 65; Grave 2022 a, S. 134 f.
3 Börsch-Supan/Jähnig 1973, S. 327; Vogel 2006, S. 106.
4 In diesem Sinne interpretierte das Bild bereits sein erster Besitzer, Fürst Malte von Putbus: »Es ist eine Winterlandschaft, der Reiter, dessen Pferd schon verloren ging, eilt dem Tod in die Arme, ein Rabe krächzt ihm das Todtenlied nach. Auch dies Bild ist wie fast alle des Meisters mystisch, schauerlich und trübe.« Hier zit. nach Aubert 1911, S. 610. Vgl. Börsch-Supan/Jähnig 1973, S. 327.
5 Ausst.-Kat. Madrid 1992, S. 152 – 154; Ausst.-Kat. Frankfurt am Main/Weimar 1994, S. 472; Howoldt 2006, S. 65; Zuchowski 2021, S. 375.
6 Als das Bild im Herbst 1814 auf der Berliner Akademieausstellung gezeigt wurde, ist in der Vossischen Zeitung vom 8. 12. explizit von »[e]inem französischen Chasseur« die Rede. Hier zit. nach Aubert 1911, S. 610.
7 Grummt 2011, Bd. 2, S. 657 f., Nr. 698. Vgl. Vogel 2006, S. 103 f.
8 Grummt 2011, Bd. 2, S. 657.