Die Ansicht einer Felsenschlucht mit einem Wasserfall stellt nach Karl-Ludwig Hoch, der sich auf die Lokalisierung von Dietrich Graf stützt, den Amselfall bei Rathen dar.(Anm. 1) Das Verso zeigt Hoch zufolge in der unteren Hälfte das flüchtig gezeichnete Honigsteinmassiv, das sich in unmittelbarer Nähe zum Amselfall befindet. Diese Bestimmung ist möglich, allerdings nicht zwingend, denn auf anderen Darstellungen des Honigsteins erscheint das Bergmassiv wesentlich präsenter mit seiner charakteristischen Bergkuppe.
Christina Grummt hat das Blatt erstmals 2006 und danach 2011 dem Großen Rügener Skizzenbuch zugeordnet, worin ihr Frank Richter gefolgt ist. Aufgrund der Untersuchung des Papierbefundes – so Grummt – würde auch das Hamburger Blatt zum Großen Rügener Skizzenbuch gehören, dessen Blätter etwa 235 x 365 mm messen und an zwei Ecken eine Abschrägung aufweisen. Zudem lässt sich auf den Blättern, die eine Wasserzeichen tragen, das Wasserzeichen „J WHATMAN / 1794“ nachweisen (Vgl. Kat. ). Friedrich hatte das Skizzenbuch auf seiner ersten Rügenwanderung im Juni 1801 verwendet und danach auf seiner zweiten Rügenwanderung 1801, ein letztes Blatt entstand am 14. Mai 1802.(Anm. 2)
Das Whatman-Wasserzeichen von 1794 trägt auch das vorliegende Blatt, weshalb Grummt das Hamburger Blatt entsprechend früh in die Zeit der Benutzung des Skizzenbuchs datiert. Auch entspricht es in den Abmessungen dem Großen Rügener Skizzenbuch, doch kann es diesem nicht zugeordnet werden. Abgesehen davon, dass es motivisch aus der Reihe der Rügenansichten herausfällt – es wäre das einzige, das kein Rügenmotiv darstellt -, spricht der Papierbefund gegen diese Annahme. Während es sich bei dem Papier des Großen Rügener Skizzenbuchs um ein zu einem bräunlichen Farbton neigenden Papier handelt, der nicht von Verbräunung herrühren kann, da auch die Rückseite den gleichen Farbton aufweist, handelt es bei dem vorliegenden Blatt um ein eher weißes bzw. chamoisfarbenes Velinpapier. Schwerer wiegt zudem, dass die Eckabschrägung nicht den anderen zum Großen Rügener Skizzenbuch gehörenden Blättern entspricht. Sie ist größer und die Blätter zeigen an dieser Stelle teilweise noch den Farbschnitt, der an dem vorliegenden Blatt nicht erkennbar ist. Auch wäre es das einzige neben einem anderen Blatt in Essen, dass nur in Bleistift ausgeführt wäre, alle anderen Blätter sind Feder- bzw. Pinselzeichnungen.
Grummt hatte das Blatt in Zeitraum 1799-1803 datiert, doch durch die nicht nachweisbare Zugehörigkeit zum Großen Rügener Skizzenbuch ist auch die Datierung wieder offen. Sumowski hat das Blatt mit einem Wasserfall in Zusammenhang gebracht, den Friedrich 1828 auf der Dresdner Akademieausstellung gezeigt hatte. Demnach käme das Blatt als Grundlage für das heute verschollene Gemälde in Frage.(Anm. 3) Sigrid Hinz dagegen datierte das Blatt ohne nähere Begründung bereits um 1814; tatsächlich hat Friedrich 1814 auf der Dresdener Akademie-Ausstellung eine heute verschollene Sepia ausgestellt, die den Titel „Der Amselfall im Radewalder Grunde, vom Monde beleuchtet“ trug.(Anm. 4) Die malerische Auffassung des Gegenstands auf dem Hamburger Blatt steht im Gegensatz zu der trotz des Pinseleinsatz sehr exakten, dabei von der Linie ausgehenden Darstellung auf den Blättern des Großen Rügener Skizzenbuchs, weshalb für das Hamburger Blatt eine Entstehung erst um 1814 nicht ausgeschlossen werden kann.
Peter Prange
1 Hoch 1995, S. 37.
2 Vgl. Grummt 2011, S. 314-316, Nr. 310, Abb.
3 Sumowski 1970, S. 221, Nr. 274.
4 Sumowski 1970, S. 198, Nr. 116. Möglicherweise identisch mit der auf der Jahrhundert-Ausstellung 1906 in Berlin gezeigten Sepia „Landschaft aus der Sächsischen Schweiz (Amselgrund?), Pinsel in Braun, weiß gehöht, 507 x 698 mm, vgl. Ausstellung deutscher Kunst aus der Zeit von 1775-1875. Zeichnungen, Aquarelle, Pastelle, Ölstudien, Miniaturen und Möbel, Bd. Zeichnungen, Ausst.-Kat. Königliche Nationalgalerie, Berlin 1906, S. 39, Nr. 2413.