Am Fenster eines kargen Raumes steht eine junge Frau. Vom Betrachter abgewandt, blickt sie hinaus ins Freie. Es ist Caroline, die Frau Caspar David Friedrichs, die aus dem Atelier des Künstlers zum gegenüberliegenden Elbufer schaut. 1822, vier Jahre nach seiner Heirat, schuf Friedrich dieses kleinformatige, sehr private Bild. Noch im Entstehungsjahr wurde das Gemälde auf der Dresdner Akademieausstellung gezeigt: »Ein kleines Bild, das Atelier des Künstlers darstellend in seiner eigentümlichen Einfachheit, mitten im Hintergrund das Fenster mit der Aussicht auf die Elbe und die gegenüberstehenden Pappeln, wäre sehr wahr und hübsch, wenn Friedrich hier nur nicht wieder seiner Laune gefolgt wäre, die es so sehr liebt, Personen nämlich gerade von hinten darzustellen« (Wiener Zeitschrift für Kunst, 1822, zit. nach: H. Börsch-Supan und K. W. Jähnig, Caspar David Friedrich, Werkverzeichnis, München 1973, S. 96). Während die »Wiener Zeitschrift für Kunst« auf Friedrichs Gemälde mit Unverständnis reagierte, inspirierte das Rätselhafte der sich abwendenden Frauengestalt den Dichter Friedrich de la Motte Foqué zu einem Sonett.
Friedrich konstruierte den schlichten, leeren Innenraum konsequent aus Horizontalen und Vertikalen. Nichts verrät Wohnlichkeit, nur ein kurzes Stück Fußboden aus breiten Holzdielen, eine dunkle Wand und ein hohes Fenster sind zu sehen. Allein die Frauengestalt sowie die Aussicht auf zartgrüne Pappeln am jenseitigen Ufer, hinterfangen von einem weiten Frühlingshimmel, beleben die Darstellung. Der filigranen Spitze eines Kirchturms ähnelnd, erscheint ein Schiffsmast im oberen, durch ein schmales Kreuz gegliederten Fensterbereich. Ein subtiler Farbklang aus Blau, Grün und Ocker lenkt die Aufmerksamkeit auf das sich in feinsten Nuancen abstufende Licht. Friedrich griff mit diesem ›Fensterbild‹ ein romantisches Sehnsuchtsmotiv auf, das innen und außen, Nähe und Ferne verknüpft. Der Blick nach außen geht zugleich nach innen, ins Zentrum des Seelischen.
Von Friedrich sind zwei weitere Innenraumdarstellungen überliefert: »Zum Licht aufsteigende Frau« (1825, Pommersches Landesmuseum, Greifswald) und »Hinabsteigende Frau mit Kerze« (um 1825, Leihgabe aus Privatbesitz ebd.). Wie »Frau am Fenster« verblieben auch diese Bilder lange Zeit im Besitz der Familie des Künstlers. Erst 1906, anläßlich der Jahrhundertausstellung in der Nationalgalerie Berlin, auf der Friedrich mit 36 Gemälden, darunter »Frau am Fenster«, vertreten war, wurde das in Vergessenheit geratene malerische Werk des Künstlers neu entdeckt. | Birgit Verwiebe
Frau am Fenster, 1822
Caspar David Friedrich
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Bildnachweis
Jörg P. Anders
Lizenz
Public Domain Mark 1.0