Das Blatt ist neben dem Selbstbildnis mit aufgestütztem Arm (Inv.-Nr. 1932-153) das bekannteste Selbstbildnis Friedrichs. Alfred Lichtwark hatte erstmals das Blatt als Vorlage zu dem seitenverkehrten Holzschnitt angesehen, den der Bruder des Künstler, der Holzschnitzer Christian Friedrich, angefertigt hatte (Anm. 1), doch widersprach dieser Ansicht Carl Georg Heise, der das Blatt für kein Selbstbildnis hielt und die Autorschaft Friedrichs ablehnte.(Anm. 2) Seit Herbert von Einems Friedrich-Buch von 1938 wird das Blatt jedoch unwidersprochen als Selbstbildnis Friedrichs angesehen.
Helmut Börsch-Supan vermutete in dem Blatt „jedoch nicht die Vorlage, die Christian Friedrich unmittelbar für den Holzschnitt benutzt hat, denn die geordnetere Strichführung, die Bereicherung der Binnenzeichnung und der Schraffur des Hintergrundes, sowie die Klärung von Details der Kleidung, wodurch sich der Holzschnitt von der Zeichnung unterscheidet, dürfte auf Caspar David Friedrich zurückgehen. Es muß also eine verlorene Zeichnung als Zwischenglied angenommen werden. Die schmälere Proportion des Holzschnittes steigert den Eindruck des Aufragenden und Aufrechten.“(Anm. 3) Die Ansicht, dass es sich bei dem vorliegenden Blatt nicht um die endgültige Vorlage für den Holzschnitt handelt, hat sich in der Forschung aber nicht durchgesetzt, heute wird das Hamburger Blatt allgemein als Vorlage für den Holzschnitt angesehen. Tatsächlich sind die von Börsch-Supan beobachteten Unterschiede zu gering, als dass zwingend eine weitere Vorzeichnung vorhanden gewesen sein müsste. Der Einsatz der Feder nimmt bereits in der Zeichnung die Umsetzung in den Holzschnitt vorweg, dabei ist sie sehr getreu im gleichen Maßstab in den Holzschnitt umgesetzt worden, besonders im Gesicht und in den Haaren lassen sich kaum Unterschiede feststellen, die Angabe der Kleidung und des schraffierten Hintergrundes hat Friedrich dagegen in der Zeichnung als nicht so wichtig erachtet und die weitere Ausgestaltung dieser Details dem Holzschneider überlassen.
Dass es sich bei dem Hamburger Blatt um die unmittelbare Vorlage handelt, erhellt auch die technische Analyse: Neben der Bleistiftunterzeichnung, die vor allem am Halstuch, dem Rock und am Haar sichtbar ist, ist das Blatt – was bisher unbeobachtet blieb – an den Konturen teilweise durchgegriffelt. Dazu passt, dass es mit Öl getränkt wurde und auf dem Verso großflächig mit schwarzer Kreide geschwärzt und der Umrisskontur wiederholt wurde.(Anm. 4)
Der Physiognomie mit dem kurzen Haar und insbesondere dem Wangenbart nach zu urteilen, handelt es sich um ein Frühwerk. Entsprechend datierte von Einem das Blatt um 1800, doch hat sich seit Wilhelm Kästner die von ihm vorgeschlagene Datierung „um 1802“ durchgesetzt. Kästner hatte als Beleg für seine Datierung eine Miniatur von 1800 des dänischen Malers Johan Ludwig Lund heran gezogen, die sich im Kestner-Museum in Hannover befindet.(Anm. 5)
Börsch-Supan hat, da Holzschnitte im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts hauptsächlich als Buchschmuck Verwendung fanden, auch für Friedrichs Holzschnitt eine ähnliche Funktion vermutet. Möglicherweise plante Friedrich eine Publikation eigener Gedichte – zwei seiner überlieferten Gedichte stammen aus dem Jahr 1803 -, der er sein Selbstbildnis beigeben wollte.(Anm. 6) Diese Vermutung lässt sich bisher nicht bestätigen, auch muss zweifelhaft bleiben, ob die Reproduktion seines Selbstbildnisses einen aktuellen Anlass hatte. Möglicherweise plante Friedrich, die eher anspruchslose Selbstdarstellung an Freunde zu verschenken.(Anm. 7)
Peter Prange
1 Lichtwark 1905, S. 19-27.
2 Heise 1923/24, S. 273.
3 Börsch-Supan 1973, S. 263.
4 Ein Blatt in Privatbesitz, das Zschoche 2005, S. 20, Taf. 1, als Selbstbildnis Friedrichs veröffentlicht hat, soll dem Hamburger Blatt zeitlich vorausgehen – seine Bezeichnung des Hamburger Bildnisses als „Wiederholung“ suggeriert eine frühere Entstehung des Porträts in Privatbesitz -, doch handelt es sich sicher um eine wohl kaum eigenhändige Nachzeichnung nach dem Hamburger Blatt.
5 Kästner 1938, S. 38.
6 Börsch-Supan 1973, S. 47, Anm. 58.
7 Busch 2010, S. 7