Die Akademiezeit in Kopenhagen ermöglichte auch Friedrichs erste Versuche in der Landschaftsmalerei; mehrere bildmäßig ausgeführte Aquarelle bezeugen Ausflüge in die Umgebung von Kopenhagen, die er für die Suche nach einer eigenen Form der Landschaftsdarstellung nutzte. Dies gilt auch für die vorliegende „Landschaft mit Pavillon“, den Börsch-Supan als ein Gebäude in der Nähe von Klampenborg nördlich von Kopenhagen identifizieren konnte. (Anm.1) Ein anonymes Gemälde von 1840 im Bymuseum in Kopenhagen zeigt denselben Pavillon mit einer Ansicht der Strandveyen in Klampenborg. Der wohl aus der Mitte des 18. Jahrhunderts stammende Pavillon diente als Belvedere und ermöglichte den Blick bis zum nahegelegenen Øresund.
Die Tatsache, dass Friedrich nicht die Aussicht vom Pavillon in die Weite der Landschaft thematisiert, sondern den Aussichtspavillon in der Landschaft, hat zu verschiedenen Deutungen Anlass gegeben. Börsch-Supan sah im Kontrast zwischen der ärmlichen Hütte rechts sowie den absterbenden Bäumen dahinter und dem Pavillon den allegorischen Sinn des Blattes begründet, der „wohl als Gegenüberstellung von irdischem Dasein und Paradies zu verstehen ist.“ (Anm.2) In diesem Sinne deutet Börsch-Supan den Pavillon als Paradies, zu dem der Zugang durch das geschlossene Gatter versperrt wird.
Dieser einseitigen Deutung ist von Werner Hofmann vehement widersprochen worden, der dagegen unter Heranziehung von Christian Cay Laurenz Hirschfelds „Geschichte und Theorie der Gartenkunst“ darauf verweist, dass Friedrich hier möglicherweise, „sofern er einen Bildgedanken im Kopfe hatte, bloß das architekturtheoretische Kontrastpaar Hütte-Palast darstellen wollte.“ (Anm.3) Im Kapitel „Inschriften“ thematisiere ein für Denkmäler vorgeschlagenes Gedicht diesen Kontrast – „Du schläfst auf weichen Betten, ich schlaf auf weichem Klee“ (Anm.4) -, das ein Hinweis darauf sein könnte, dass Friedrich in dem Aquarell gesellschaftliche Gegensätze im Auge gehabt habe. Der Umstand, dass Hirschfeld besonders dänische Gärten beschreibt, und Friedrich Hirschfelds Werk gekannt haben wird, bestärkte Hofmann in seiner Interpretation, die er später erweiterte, indem er an die Devise der Jakobiner „Friede den Hütten, Krieg den Palästen“ erinnerte. (Anm.5) Dieser sozialkritische Ansatz wurde von William Vaughan aufgegriffen, der darauf hinwies, dass der Betrachter unweit der Hütte stehe und ihm der Zugang zum Pavillon versperrt sei. (Anm.6)
Börsch-Supan hat dieser gesellschaftskritischen Interpretation schon früh widersprochen (Anm.7) und ist darin zuletzt von Reinhard Zimmermann bestärkt worden. (Anm.8) Tatsächlich gibt der Bildbefund wenig Hinweise auf eine gesellschaftliche Deutung über eine allgemeine zeitgeschichtliche Assoziation hinaus, vor allem wenn man bedenkt, wie plakativ Friedrich teilweise in seinen frühen Arbeiten beispielsweise religiöse Symbole platziert (Anm.9), fehlt auf dem Blatt jeder Hinweis für soziale oder demokratische Intentionen, die Hofmann und nach ihm Vaughan Friedrich zuschreiben. Doch auch Börsch-Supans christologische Deutung, die das Blatt als klar nachvollziehbares Landschaftskontinuum versteht, würde voraussetzen, dass Friedrich ein solches wirklich gemeint hat. Noch stärker als auf dem Aquarell mit Emilias Kilde (Kat. 1916-147) arbeitet Friedrich mit Versatzstücken des Landschaftsparks und lässt dabei den Betrachter über die Stellung des Monuments im Park im Unklaren. Die durch das Gatter abgesperrte Brücke suggeriert einen Weg zum Pavillon, der aber nicht nachvollziehbar ist. Ein kleiner Zaun neben dem Pavillon umgrenzt ihn genauso eng wie die umstehenden Büsche, in unmittelbarer Nähe erscheint davor eine strohgedeckte Hütte, die zum Pavillon kontrastiert. Auch wenn Friedrichs Ansicht zunächst einmal topographisch ist, zielt die Kombination dieser Bildelemente auf keine Wiedergabe der Landschaft im Sinne einer Vedute, sondern auf eine Dekonstruktion des traditionellen Landschaftsverständnisses. Bei Friedrichs Neudefinition der Landschaft geht es nicht – wie Leo Körner betont hat – um die Darstellung einer Vedute, aber auch nicht um die Darstellung einer moralisierenden Allegorie, vielmehr streben Friedrichs Landschaften „in ihrer bildlichen und semantischen Struktur nach einer Reflexion der Widersprüche und Verfassungen der Subjektivität per se“. (Anm.10) Koerners Ansatz schließt an die von der Forschung im Gegensatz zu Börsch-Supan vertretene „Mehrsinnigkeit“ (Anm.11) bzw. „Deutungsoffenheit“ (Anm.12) der Werke Friedrichs an (Anm.13), die ein entscheidendes Merkmal seiner Kunst sei. Tatsächlich zielt die Kombination der verschiedenen Bildelemente „auf eine Kontrastierung, die der Landschaft über die Wiedergabe des konkreten topografischen Vorbildes (eines Pavillons in der Nähe von Klampenborg, nördlich von Kopenhagen) hinaus eine weitere, wenn auch unbestimmte Bedeutung verleiht.“ (Anm.14)
Einigkeit herrscht in der Forschung, dass Friedrichs 1797 entstandenes Aquarell (Anm.15) wesentliche Anregungen Jens Juels in die 90er Jahre zu datierendes Gemälde „Landschaft mit Nordlicht“ (Anm.16) in Kopenhagen verdankt. (Anm.17) Juel führt auf seinem Landschafsgemälde, dessen eigentliches Thema das ungewöhnliche Lichtphänomen ist, eine Reihe von Elementen ein, die Friedrich auf dem Hamburger Blatt und auch später verwendet hat. Ähnlich wie auf dem Hamburger Aquarell bilden auch hier die Strohhütte, das Gatter und die Büsche eine Art Barriere, die einen Zugang verwehren.
Peter Prange
1 Börsch-Supan 1973, S. 238.
2 Börsch-Supan 1973, S. 238.
3 Friedrich 1974, S. 71.
4 Zitiert nach Friedrich 1974, S. 71.
5 Hofmann 2000, S. 209.
6 Vaughan 2004, S. 33-34.
7 Börsch-Supan 1976, S. 207.
8 Zimmermann 2001, S. 357-358.
9 Vgl. z. B. Ruine Eldena mit Begräbnis, Bleistift, Pinsel in Braun, 155 x 219 mm, Dresden, Staatliche Kunstsammlungen, Kupferstich-Kabinett, Inv. Nr. C 1936-35, vgl. Grummt 2011, S. 343-344, Nr. 341, Abb.
10 Koerner 1999, S. 99.
11 Hofmann 2000, S. 239.
12 Hilmar Frank: Die mannigfaltigen Wege zur Kunst. Romantische Kunstphilosophie in einem Schema Caspar David Friedrichs, in: Idea. Jahrbuch der Hamburger Kunsthalle X, 1991, S. 165-196, hier S.
13 Vgl. hierzu die kritischen Bemerkungen von Christian Scholl: Rezension zu Hofmann 2000, in: Kunstchronik 54, 2001, S. 589-596, hier besonders S. 595-596.
14 Grave 2012, S. 51-55.
15 Hinz 1966, S. 51, Nr. 330, datiert das Aquarell unverständlicherweise um 1801/02.
16 Jens Juel, Landschaft mit Nordlicht, Öl/Lw, 31,2 x 39,5 cm, Kopenhagen, Ny Carlsberg Glyptotek, Inv. Nr. 1936, vgl. Friedrich 1991, S. 188-189, Nr. 60, Abb.
17 Erstmals auf Juels Gemälde hingewiesen hat Sumowski 1970, S. 54.