Nebel zieht über den Horizont, kriecht über die Felder, bedeckt die Sicht. Verhalten glimmt ein Rest Abendlicht durch die Wolkenschwaden, unter denen Schwärme schwarzer Vögel in den Himmel stieben. Kaum sichtbar kauert einsam eine menschliche Gestalt vor einer einfachen Strohhütte, sich vor der feuchten Kühle schützend. Oder: Sanft bescheinen Sonnenstrahlen den bewegten Wolkenhimmel. Zur Rast, wie ein Eremit in sich versunken, sitzt ein Mensch inmitten nebelüberzogener Felder im Schatten wärmenden Strohs. Er scheint zu genießen, was nur wir sehen können: die stille Schönheit der Natur.
Ob als einfühlsame Beobachtung einfachen Lebens inmitten der Natur oder als Eröffnungsszene eines Horrorstreifens: Friedrich führt mit seinen Nebelschwaden (Anm. 1) eindrücklich vor, inwieweit die Interpretation eines Werkes im individuellen Empfinden der Betrachtenden liegt. In dieser Ambivalenz überlässt sie der Künstler sich selbst und ihrer Vertiefung in das Bild. Die reduzierte Darstellung beruht kompositorisch auf mathematischer Berechnung, mit deren Hilfe Friedrich die Bildwirkung harmonisch zu bestimmen weiß: Das Flächenverhältnis von Himmel und Erde folgt dem Goldenen Schnitt und bettet so die exakt auf der Mittelsenkrechten platzierte Hütte harmonisch ein. Auf die Herkunft (und in Friedrichs Œuvre wiederholte Verwendung) der Strohhütte als Bildelement des Kopenhagener Lehrers Jens Juel hat Johannes Grave hingewiesen (Anm. 2). Anders als in Jan Luykens emblematischen Darstellungen für die Ethica Naturalis, in der Luyken die Nebellandschaft Nebulae mit zwei Figuren im Vordergrund staffiert, verlagert Friedrich die Begegnung von Mensch und Natur in den Bildmittelgrund (Anm. 3). Indem er mit der Hütte den Einsamen vom Hintergrund separiert, bleibt eine gewisse Distanz zwischen Umgebung und Mensch, die uns Betrachtende zum Reflektieren einlädt.
Noch zu Lebzeiten Friedrichs erwarb 1834 Georg Andreas Reimer das Bild. Er gilt als wichtiger Unterstützer Friedrichs, und es ist überliefert, dass seine Sammlung zwischen 36 und 44 Gemälde Friedrichs umfasste (Anm. 4). Posthum wurde Nebelschwaden 1842 aus jener Sammlung verkauft; an wen, ist bisher unbekannt. 1911 jedenfalls erwarb Alfred Lichtwark es als insgesamt zehntes Gemälde des Künstlers für die Hamburger Kunsthalle. Nachdem das Werk 1994 aus einer Frankfurter Ausstellung heraus gestohlen wurde, gelangte es 2003 bedingungslos und weitgehend unbeschadet zurück nach Hamburg.
Clara Blomeyer
in: Caspar David Friedrich. Kunst für eine neue Zeit, hrsg. von Markus Bertsch und Johannes Grave, Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle, Berlin 2023, S. 258.
1 Börsch-Supan/Jähnig 1973, S. 362, Nr. 269.
2 Vgl. Grave 2022 a, S. 51 – 55.
3 Zur möglichen Bezugnahme Friedrichs auf die Ethica Naturalis vgl. Einem 1940, S. 163.
4 Fouquet-Plümacher/Kawaletz 1996, S. 89.