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Caspar David Friedrich – Das Eismeer (1823/24)
Wie lange mag dieses Ereignis zurückliegen? Das Schiff scheint noch nahezu unversehrt, doch keine Menschenseele ist zu sehen. Alles scheint erstarrt.
Bei seiner ersten Ausstellungstour 1825–26 erregte Caspar David Friedrichs Gemälde Das Eismeer große Aufmerksamkeit, manche reagierten geradezu verstört auf seine radikale Darstellung.
Ohne Erfrierungen in Kauf zu nehmen, kann man hier tief ins Eismeer eintauchen: Wie viele Farben hat Eis? Woher nahm Friedrich die Idee zum Bild? Wie malt man Schnee? Ist wirklich alle Hoffnung verloren? Und – hat Friedrich den Yeti entdeckt?



Von der Naturstudie zum fertigen Gemälde
Im Winter 1820/21 wurde Friedrich Zeuge des Eisgangs auf der Elbe. Fasziniert von dem seltenen Naturschauspiel fertigte er vor Ort drei Ölskizzen mit Eisschollen an (Hamburger Kunsthalle). Auf diese griff er zurück, als er wenige Jahre später sein berühmtes Gemälde Das Eismeer schuf, steigerte die Größenverhältnisse aber ins Monumentale.
Schönheit kennt kein Alter
Das Eismeer ist ein ausgesprochen gut erhaltenes Gemälde. Seine Farben brillieren auch noch nach 200 Jahren, seine Farbschichten haften größtenteils fest am Bildträger. Kleinste Erschütterungen oder Berührungen können aber jederzeit zu Schäden führen, weshalb das Werk heute nur sehr selten verliehen wird. Es kann zum Beispiel zu Rissen in der Malschicht, sogenannten Craquelées, kommen. Hier ist ein (längliches) ährenförmiges Craquelé zu sehen, das durch Druck von der Bildrückseite entstanden sein dürfte.
Deutlich sichtbar sind außerdem vereinzelte blaue Punkte – gröbere Splitter des blauen Pigments, das Friedrich für den Himmel verwendete. Bevorzugt griff er zu Smalte, einem Pigment aus gemahlenem blauem Kobaltglas. Smalte war günstiger als z.B. Indigo oder Ultramarin, kann sich aber im Laufe der Zeit braun verfärben. Wie fein der Künstler die Farbe auftrug, zeigt sich an der rosa durchschimmernden Grundierung, die zarte farbliche Abstufungen erkennen lässt. Beim Gesamtblick auf das Bild fällt das nicht weiter auf, sorgt aber für einen für Friedrich typischen, intensiv flirrenden Himmel.
Wie viele Haare hatte wohl der Pinsel, der diese feinen Linien hervorbrachte?
Im Original ist das Tauwerk mit bloßem Auge kaum zu erkennen.
Als Mann von der Küste zeichnete Friedrich in seinem Leben eine ganze Reihe von Schiffen, die häufig auch in seinen Gemälden auftauchen.
Schiffbruch?
Sind das Baumstämme oder Schiffsmasten? Wie könnten sie dorthin gekommen sein?
Bei genauem Hinschauen fällt auf, dass sich einer der halb zermalmten Stämme in der Bruchkante des Eises spiegelt.
Schwarze Spuren im Schnee
Welche Farbe trug Friedrich zuerst auf, das Weiß der verschneiten Eisscholle oder die braun verkrustete Bruchkante dahinter?
An dieser Stelle ist das kaum zu entscheiden, da keine der Farben die andere überdeckt. Sie berühren sich nicht einmal. Durch die bräunlich durchschimmernde Grundierung entsteht eine besondere Dreidimensionalität.
An der Grenze der beiden Farbflächen sind kleine dunkle Punkte zu erkennen. Das sind letzte Spuren der Vorzeichnung, also Orientierungslinien, die Friedrich bei der Ausführung des Motivs auf der Leinwand halfen.

Ein Motiv, viele Bilder
Einmal beobachtete Motive verwendete Friedrich häufig mehrfach. Durch fantasievolles Komponieren entstanden immer neue Bildschöpfungen. Um 1822/24 schuf Friedrich mehrere nordische Landschaften, etwa Felsenriff am Meeresstrand (Staatliche Kunsthalle Karlsruhe). Die schroffen Umrisse der Felsformation finden sich auch hier im Eismeer wieder.
Und erinnern sie nicht auch ein wenig an schlafende Drachen?
All hope is lost?
So trüb, so aussichtslos und niederschmetternd die Szenerie auch wirken mag: Einen kleinen Lichtblick baut Friedrich ein, bedeutungsvoll zentral und unauffällig zugleich.
Offenbar wusste der Maler schon damals, was Achtsamkeitskalender heute predigen: Aus jeder noch so festgefahrenen Situation gibt es einen Ausweg. Alles nur eine Frage der Ansicht.
Wie viele Farben hat Eis?
Caspar David Friedrich sah selbst nie das ewige Eis. Allerdings wurde er 1821/22 Zeuge des Eisgangs auf der Elbe. Sein Malerfreund Carl Gustav Carus schrieb am 14.1.1821 über dieses Naturschauspiel:
„Die Gewalt des Wassers auf jener Seite setzte die diesseitigen Eismassen in Bewegung, und gegen die Ufer des Elbberges schoben sich jetzt, ernst und gewaltig, breite Schollen, gleich anschlagenden, erstarrten, übers Land flutenden Meereswellen, weit herauf.
Es zog mich, diese Eismassen in der Nähe zu betrachten. Da stand ich an den heraufgehobenen Eistafeln. Ihre Dicke betrug einen halben bis einen Fuß, die Farbe teils gelblich, teils ein durchscheinend grünliches Blau, ihre Breite vier, sechs bis acht Fuß.
Drüben wühlte der Strom fort und schob am jenseitigen, vorspringenden Ufer eben wieder einen Schollenberg in die Höhe.“
Carl Gustav Carus, Ein Bild vom Aufbruch des Eises bei Dresden, in: Briefe und Aufsätze über Landschaftsmalerei, Leipzig und Weimar 1982, S. 111 (stark gekürzt), zitiert nach: Richter 2024, S. 448.
Wie viele Pinselstriche ergeben einen Eisblock?
Um dem Bild Tiefe zu verleihen, bediente sich Friedrich eines Kniffs: Weiter im Hintergrund liegende Elemente führte er weniger detailliert aus als den Vordergrund, sie erscheinen „unschärfer“. Aus einzelnen zarten Pinselstrichen auf dem blau-in-blauen Horizont setzt das Auge das Objekt zusammen, Tiefenwirkung entsteht.
Die doppelte Leinwand
Weiß hebt sich der Rand der Leinwand vom Bildrand, dem Ende der Darstellung, ab. Hier ist nicht etwa die Grundierung zu sehen, nein, es handelt sich um eine zweite Leinwand. Damit sollte die originale Leinwand, auf die Friedrich gemalt hatte, langfristig stabilisiert werden. 1938 führte ein Restaurator der Hamburger Kunsthalle eine sogenannte Doublierung durch. Beim Doublierungsverfahren wird die originale Leinwand vom Keilrahmen gelöst und bis an den Rand der Darstellung beschnitten. Anschließend wird sie auf eine mit Klebemittel und Grundierung präparierte zweite Leinwand fixiert. Das Gemälde ist dann „doubliert“.
Dieses restauratorische Verfahren wird inzwischen nur noch selten angewendet; zu hoch ist die Gefahr, dass beispielsweise die Klebemittel chemische Reaktionen auslösen, die die Malschichten gefährden könnten.


Rahmenbedingungen
Wie verändert sich die Bildwirkung mit dem Rahmen?
Über 100 Jahre trug das Gemälde einen dunkel gebeizten Rahmen mit schmaler Goldleiste. Erst kürzlich wurde dieser durch einen historischen Goldrahmen ersetzt. Solche waren zu Friedrichs Zeiten üblich, während der dunkle Rahmen vermutlich erst mit Ankauf des Bildes durch die Hamburger Kunsthalle 1905 angepasst wurde und dem Zeitgeschmack um 1900 entspricht.
Wie eine Gigapixel-Aufnahme entsteht
Die Kamera justiert, gleichmäßiges Studiolicht und das Gemälde auf einem beweglichen Gestell, das exakte horizontale und vertikale Bewegungen erlaubt: Das sind ideale Voraussetzungen für die Erstellung eines ultrahochauflösenden Fotos. Um eine sogenannte Gigapixel-Aufnahme für die Hamburger Kunsthalle zu erstellen, nahm der Fotograf Christoph Irrgang das Gemälde in einem festgelegten Raster von 6 x 6 Bildern mit definierten Überlappungen auf. Diese 36 Einzelfotos fügte er anschließend digital minutiös zu einem Gesamtbild mit etwa 70.000 Pixeln Breite zusammen.
Die schärfste Aufnahme des Eismeeres aller Zeiten ist nun für alle frei zugänglich. Viel Freude beim Entdecken!
Ist das etwa...
… der Yeti?! Wohl kaum. Es ist auch nicht Frankensteins Monster, das Mary Shelley in ihrem Roman von 1818 ins ewige Eis geschickt hatte.
Vielmehr handelt es sich hier um einen Schaden in der Ölfarbe aus früherer Zeit, von Restaurator*innen kaum merklich retuschiert.
Durch dick und dünn
Dichter, gefrorener Schnee, durchscheinendes Eis, Lichtreflexe, dunkle Schatten: Jede Oberfläche behandelte Friedrich anders. Mal trug er Farbe pastos und großzügig auf, mal mit wenig Farbe im Pinsel, und stellenweise ließ er die rötliche Grundierung stehen.
Das Eismeer
1823/24 malte der Künstler Caspar David Friedrich dieses Bild. Es heißt Das Eismeer.
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